Die gemütliche Säge — ein Artikel von thurgaukultur.ch
Eine Stunde braucht es, ein Brett vom Stamm zu schneiden — aber weder Strom noch fossile Brennstoffe. | © Inka Grabowsky
Am Dorfrand von Tägerwilen wird seit fast 500 Jahre die Wasserkraft aus dem Allmendbach genutzt. Bis in die 1960ger Jahre war eine Säge in Betrieb. Doch als sich das nicht mehr lohnte, verfiel sie. Heute ist das Obermühlareal ein Idyll mit Biotop, Grillplatz und einem restaurierten Industriedenkmal. Zu verdanken ist das dem Engagement des Vereins «Alte Säge Tägerwilen». (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
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Fünf PS bringt das hölzerne Wasserrad zusammen, indem es sich mit dem fliessenden Wasser aus dem Mühlweiher siebenmal pro Minute dreht. Ein Kammrad mit 132 Zähnen übertragt die Drehbewegung über diverse Achsen auf das Auf- und Ab des Sägeblatts.
Gut eine Stunde dauert es, bis ein dicker Baumstamm damit einmal längs durchgesägt ist. Für Eilige ist die Arbeit mit der alten Säge nichts. Alle anderen sehen fasziniert zu, wie ohne Elektrizität oder Brennstoffe kinetische Energie entsteht.
Vor dem Abriss bewahrt
Es ist nicht selbstverständlich, dass das mechanische Werkzeug heute noch bewundert werden kann. Der letzte professionelle Säger hörte Ende der sechziger Jahre auf. Die Gebäude sollten abgebrochen und das Gelände mit einem Wohnblock überbaut werden. «Damit das nicht passiert, hat die Gemeinde das Areal 1972 gekauft», erklärt Viktor Lussi, der Präsident des Vereins «Alte Säge Tägerwilen».
Doch die nächsten zwölf Jahre verfiel die Technik weiter. Der Renovationskredit wurde zweimal von den Stimmbürgern abgelehnt. Erst als 1984 die Bürgergemeinde die Sägerei übernahm, begannen Wiederbelebungsversuche. «Die Bürgergemeinde hat immer noch Waldbesitz, deshalb war die Säge für sie tatsächlich nützlich», so Lussi, der selbst vor seinem Engagement in Säge-Verein Präsident der Bürgergemeinde war.
«Neben der alten Säge gibt es ja hier auch eine vergleichsweise neue von 1951, die elektrisch betrieben wird und die immer noch funktioniert.»
Das Glück der Tüchtigen
Die Bürgergemeinde renovierte das Mühlengebäude. Für den Erhalt der alten Säge bildete sich 1985 ein Verein. Vier Jahre arbeiteten Freiwillige an der Restauration. «Die Säge war in einem erbärmlichen Zustand», so Lussi. «Wir haben damals Ersatzteile von anderen Mühlen bekommen.»
Konkret mussten die Tägerwiler 2000 Deutsche Mark an einen Säger im Schwarzwald für Rosette, Welle, das grosse Kammrad und andere Teile bezahlen – ein Schrottpreis. Im August 1989 lief die Säge endlich wieder. «Richtig fertig ist sie allerdings nie», lacht der Vereinspräsident. «Demnächst muss in Fronarbeit das Joch über dem Sägeblatt ersetzt werden. In dem dicken Balken leben zu viele Holzwürmer.»
2022 wurde das Dach umgedeckt und das Sägegebäude hat einen neuen Aussenanstrich erhalten. 2019 erst haben Schreiner, Mechaniker und Hobby-Handwerker in ihrer Freizeit das Wasserrad ersetzt. «Das steht alle 20 Jahre an, weil das Wasser dem Holz doch sehr zusetzt.»
Freiwillige helfen
180 Mitglieder hat der Säge-Verein. 25 davon sind aktiv, um zu reparieren, die Umgebung mit dem Biotop zu pflegen oder bei Führungen die alte Technik zu erklären. Die Mitgliedsbeiträge helfen ebenso bei der Erhaltung wie die Gebühren für die Sägestubenbenutzung und die Führungen. Bei grösseren Investitionen springt die Bürgergemeinde als Besitzerin ein.
Um für Nachwuchs zu sorgen und das Know-How zu erhalten, bildet der Verein regelmässig neue Säger aus. Fachwissen und Konzentration seien unabdinglich. Nach dem eintägigen Kurs muss man üben. «Wir spannen immer einen erfahrenen und einen Jungsäger zusammen», sagt Lussi. Es müssten ohnehin immer zwei Leute zusammen an der Säge arbeiten.
Attraktiv durch viele Angebote
Das Übungssägen ist öffentlich. Auf der Homepage werden die Daten publiziert. «Es macht immer wieder neugierig. So bekommen wir Aufmerksamkeit», meint der Präsident. Ein zusätzlicher Publikumsmagnet ist der im Sommer 2022 eingerichtete Grillplatz am Weiher. «Er zieht viele Familien an, weil er so idyllisch liegt», sagt Viktor Lussi. «Und dadurch kennen dann auch viele die Alte Säge.»
Einige kämen wieder, um sie arbeiten zu sehen und liessen sich dann zur Mitarbeit animieren. «Ein Selbstläufer ist es trotzdem nicht. Man muss den Kontakt schon suchen.» Deshalb präsentiert sich der Verein jedes Jahr am Neuzuzügerabend. «Und alle Vorstands- und Aktiv-Mitglieder halten Ausschau nach neuen Kollegen. Ideal wären Pensionäre, aber wir haben auch jüngere Holzfachleute, die einfach begeistert sind, dass man die Geschichte ihres Berufs bei uns erleben kann.»
Versammlungssaal für alle
Um im Bewusstsein der Tägerwiler zu bleiben, können die Vereinsmitglieder auf die «Sägestube» direkt neben der Werkstatt setzen. «Wir haben sie 1991 renoviert und umgebaut — für die eigenen Versammlungen, aber eben auch zum Vermieten.»
50 Menschen hätten hier Platz, sei es für Kurse, Seminare, Versammlungen und Ausstellungen aber auch um private Anlässe zu feiern. «Ich hätte gerne mehr kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen, Konzerte oder Ausstellungen», sagt Präsident Lussi. «Wir überlegen gerade, wie wir das verstärken können.»
Die Öffentlichkeitsarbeit zahlt sich für den Verein aus. «Wir erleben in der Bevölkerung breite Unterstützung. Als wir das Wasserrad renoviert haben, fanden wir Sponsoren für jede Schaufel. Und auch mit der politischen Gemeinde und der Bürgergemeinde gibt es eine gute Zusammenarbeit.»